HHM e-kontakt / September 2021

Sich auf Augenhöhe begegnen

 

Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses
 


Sich auf Augenhöhe begegnen

Nach Digitalisierung und Innovation fokussiert dieser Beitrag auf das, was zwischen Projekterfolg und -misserfolg entscheidet: Menschen, die Art des Miteinanders und gemeinsame Ziele. Exemplarisch kommt diese bekannte Erkenntnis in einem so komplexen Projekt wie dem Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses zum Tragen.

 

Vor 13 Jahren, 2008, fiel nach einem Wettbewerbsverfahren die Entscheidung zugunsten des Projekts von David Chipperfield Architects Berlin und des belgischen Landschaftsarchitekturstudios Wirtz International. Neben klassischen und flexiblen Ausstellungsräumen sollten im 18’700 m² grossen Kunsthaus-Neubau «dynamische Orte der Begegnung entstehen», die offen zugänglich sind und Kunst erlebbar machen.

 

Neues Terrain betreten

Die Kunsthaus-Erweiterung war für die Ingenieur*innen in vielerlei Hinsicht herausfordernd. Es stellten sich teilweise nie da gewesene Aufgaben. Denn der geplante Neubau sollte sich u.a. über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft orientieren. Für die Planenden hiess das, dass der Gesamtenergiebedarf für die Gebäudeerstellung und den -betrieb sowie die Baustoffe gegenüber anderen Museen massgeblich tief zu halten war, ohne dass es dafür Vorbilder gab.
Dazu kommt die Komplexität in einem Projekt mit dieser Grössenordnung. Ein Museum, das selbst wiederum Teil eines vielfältigen Ensembles ist. Und natürlich gibt es viel, sehr viel Technik. Sicherheitsanforderungen oder der Umgang mit Licht sind ein Grund dafür, dass man von diesem Projekt noch seinen Enkeln erzählen wird. Etwa dann, wenn man in einem der Säle auf die sehr aufwendige Lamellen-Konstruktion verweist, deren Einstellwinkel Grad-genaue Zustände in Abhängigkeit von der Beleuchtungsstärke im Raum zulassen. Je nach Wetter und Lichtsituation wird so jeder einzelne Ausstellungsraum individuell auf seine optimalen Lichtbedürfnisse geregelt.

 

 

Die Teams auf höhere Ziele einschwören

Pascal Bohni wurde kurz nach seinem Bachelor-Studium an der Hochschule Luzern Teil des Projektteams; er blieb der Aufgabe als Projektleiter bis zum Schluss treu. Im Gespräch mit ihm bekommen schnell andere Faktoren neben der Technik Gewicht. Er verweist auf weitere Teammitglieder: «Moritz und Roger waren massgeblich für die Projektbearbeitung und Fachbauleitung vor Ort zuständig. Sie hatten einen äusserst anspruchsvollen Job», so Bohni. Die technisch einwandfreie Realisierung sei das eine. Ein Verständnis für Qualität und Sorgfalt zu etablieren, das ist nochmal etwas ganz anderes. Die Unternehmer waren auf diese Projektziele einzuschwören. Da verständigt man sich im einen Moment mit einem Handwerker über dessen Qualitätsverständnis und zehn Minuten später ist man im konzentrierten Gespräch mit einer Kuratorin.
Dieser kommunikative Spagat ist für die Zielerreichung aber unabdingbar, weil die Anforderungen und die gestalterischen Ansprüche eines international renommierten Architekturbüros über das Übliche hinausgehen. Beim Kunsthaus handelt es sich um Architektur mit globalem Wiedererkennungswert. Da hat selbst die vermeintlich unsichtbare Dose am Boden ihren exakten Platz. Dieses Verständnis soll als Botschaft auch beim Handwerker ankommen. Was dafür der Schlüssel sei? Man müsse sich Zeit nehmen und das Gegenüber verstehen. «Es war für mich und mein Team klar, dass wir selber immer wieder die Extrameile gehen müssen», so Pascal Bohni.

 

Vertrauen aufbauen und etablieren

Der HHM Projektleiter verweist auf den Mehrwert, der sich aus der unterstützenden Projektorganisation und den Verantwortlichkeiten entwickeln konnte. Wesentlich sei gewesen, dass das Projektteam mit Dag Vierfuss einen äusserst versierten Bauherrenvertreter zur Seite hatte, der sowohl die Nutzerin (Zürcher Kunstgesellschaft) wie auch die Betreiberin und Eigentümerin (Stiftung Zürcher Kunsthaus) vertreten und verschiedenste Anforderungen koordiniert hat. Er habe die Planung und Ausführung eng begleitet, Anforderungen gekannt und das Qualitätsmanagement im Griff gehabt.
Für ein Planungsteam habe das einen immensen Wert. Was selbstverständlich tönt, ist es regelmässig nicht, schon gar nicht in Projekten mit dieser Laufzeit und dieser Vielfalt an Anspruchsgruppen. Dass es trotzdem mal zu Unstimmigkeiten kommen kann und Fehler passieren, ist normal. Es tut dem Ganzen keinen Abbruch, wenn Professionalität und gegenseitiger Respekt die Oberhand behalten. Teams, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, können damit besser umgehen und sie fokussieren immer wieder auf Lösungen. Und sicherlich hat auch eine Einladung nach Berlin, zusammen mit weiteren Planern, ins private Umfeld des Architekten eine Kultur des Miteinanders gefördert und der langen, gemeinsamen Journey Rechnung getragen. Die professionelle Basis steht zwar im Vordergrund, aber auch dem Privaten wird bewusst Raum gegeben. Denn gegenseitiges Vertrauen bleibt die Erfolgskomponente, wenn gemeinsam an einem einmaligen Projekt gearbeitet wird. «Und über die zehn Jahre haben sich durchaus auch Freundschaften entwickelt», so Pascal Bohni.

 

Was bleibt zurück?

Er habe in den letzten Jahren daran gedacht, ein Buch zum Thema Projekt-Management zu schreiben. Dies aus der Erfahrung, dass es auch ganz anders als im Kunsthaus laufen kann. Dieses Projekt habe deutlich gemacht, dass erfolgreiche Ergebnisse von Teams leben; das ist alles nichts Neues, aber vielleicht gerade im Hinblick auf Themen wie die Digitalisierung oder IPD (Integrated Project Delivery) wichtiger denn je. Wir reden von Digitalisierung und Vernetzung, dennoch entfaltet all das nicht Wirkung, wenn das eigene «Handwerk» nicht gelebt wird, wenn man sich nicht auf andere und anderes einlassen kann und das eigene Qualitätsverständnis nicht mit übergeordneten Zielen Schritt hält. Engineering ist ein People-Business, herausragende Leistungen leben davon, dass sich Menschen zu einem Ganzen zusammenfügen, man sich mehr denn je als Teil einer gemeinsamen Vision versteht. Die Digitalisierung hilft, sie entscheidet aber nicht über Erfolg und Misserfolg. So einfach ist es nicht.

 

Christoph Wey, Leiter Kommunikation und Marketing im Gespräch mit Pascal Bohni, Projektleiter Elektro Engineering und Verantwortlicher aufseiten HHM im Projekt Erweiterung Kunsthaus Zürich.